Komplikationen bei Wirbelsäulen-Eingriffen

Der diagnostische Prozess – Ursachen fehlerhafter Diagnosen

(Auszug [Seiten 19/20] aus dem Buch "Komplikationsmanagement in der operativen Behandlung von Erkrankungen und Verletzungen der Wirbelsäule" von Michael Rauschmann | Marcus Rickert)

Buchtitel von Prof. Rauschmann zu Komplikationen bei OP/Verletzung der Wirbelsäule
Buchtitel von Prof. Rauschmann zu Komplikationen bei OP/Verletzung der Wirbelsäule

Komplikationen während der operativen Behandlung von Wirbelsäulenerkrankungen und -verletzungen erwachsen häufig aus Diagnosefehlern, die entweder durch das Übersehen oder durch die Fehlinterpretation eines wegweisenden Befundes entstehen. Vor allem in den Übergangsregionen der Wirbelsäule (cranio-cervical, cervico-thorakal, thorako-lumbal und lumbo-sakral) werden Befunde falsch eingeschätzt, da diese Regionen mit Hilfe der konventionellen Röntgentechnik schwer darstellbar sein können. Dadurch werden immer wieder Verletzungen und Instabilitäten auf dem Boden von Tumoren und Spondylodiszitiden übersehen. Lassen konventionelle Röntgenbilder keine eindeutige Beurteilung zu, so ist eine weitere Abklärung durch Schnittbildgebung (CT oder MRT) zwingend erforderlich.

 

Der cerviko-thorakale Übergang (C7/Th1) stellt in diesem Zusammenhang ein klassisches Beispiel dar; hier weist das CT signifikant höhere Sensitivität und Spezifität als konventionelle Röntgenbilder auf. In Einzelfällen, z. B. im Kopfgelenkbereich, können gehaltene Funktionsaufnahmen in Extension und Flexion weiteren Aufschluss über stumme Instabilitäten ergeben.

Fehlinterpretation der Dringlichkeit und Stabilität

Des Weiteren können Fehler bei der Diagnosestellung auftreten, sofern die Pathologie in einem Abschnitt der Wirbelsäule zwar erkannt, diese jedoch in Hinblick auf die Dringlichkeit eines Eingriffs oder/und die Stabilität fehlinterpretiert wird. So kann eine zwar diagnostizierte, jedoch nicht korrekt klassifizierte Fraktur zu einer Fehlbehandlung führen. Eine fälschlich als stabil eingeschätzte Fraktur an der Halswirbelsäule kann eine neurologische Symptomatik bis hin zu einer Querschnittsymptomatik auslösen. Aber auch das Gegenteil kann der Fall sein, wenn etwa eine stabile Fraktur, die fälschlicherweise operiert wurde, in der Folge sämtliche intra-, peri- und postoperativen Komplikationen nach sich zieht.


Bühren kritisierte bereits 2003 die mangelnde Erfassung detaillierter epidemiologischer Daten zur Verletzungshäufigkeit der Wirbelsäule; insbesondere leichtere Verletzungen und konservativ behandelte Patienten seien häufig unzureichend dokumentiert (Bühren 2003).


In Deutschland erleiden von einer Million Einwohner ungefähr 20 Personen pro Jahr eine traumatische Querschnittläsion. Unter diesen 1.600 Unfallverletzten befinden sich etwa 600 Patienten mit Läsionen des Halsmarks. Aus diesen Zahlen errechnet Bühren (ebd.), dass es in der Bundesrepublik Deutschland jährlich zu circa 10.000 schwerwiegenden Wirbelsäulenverletzungen kommt. Diese verteilen sich im Verhältnis 1:4 auf die Region der HWS einerseits sowie auf die BWS und LWS andererseits; 70 – 80 % der relevanten Verletzungen entstehen an der Brust und Lendenwirbelsäule, wobei davon mehr als die Hälfte im Bereich des thorakolumbalen Übergangs lokalisiert sind. Hierbei zeigen sich der 1. Lendenwirbelkörper sowie das Segment Th12/L1 am häufigsten betroffen. Schwerdtfeger et al. (2004) verweisen auf etwa 55.000 stationäre Behandlungsfälle pro Jahr in Deutschland nach spinalem Trauma. Nach den Daten der Krankenhaus-Diagnosestatistik fanden sich bei 20 Prozent dieser stationären Aufenthalte Rückenmarksverletzungen.


M. Rüger und W. Mutscher (2010) betonen: „Eine zielführende Diagnostik basiert auf Kenntnis der Unfallanamnese, einer umfassenden klinischen Untersuchung und vor allem einer ausreichenden Bildgebung. […] Neben der Dokumentation von Fehlstellungen, Schmerzlokalisation und schmerzhafter Bewegungseinschränkungen sind bei der Befragung des Patienten auch neurologische Ausfälle zu erfassen. Darüber hinaus gilt es auch Nebenerkrankungen exakt zu erfassen.“ Zum Beispiel nehmen Krankheitsbilder wie der Morbus Bechterew, eine Osteoporose oder ein Tumorleiden für die Einschätzung der Differentialindikation eine nicht unbedeutende Rolle ein.

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ISBN: 978-3-943441-13-0